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Baumlos glücklich?

Erschienen in Pferdemarkt (05/06/2009)

Seit einigen Jahren gibt es auf dem Markt als Alternative zum klassischen Sattel mit Baum auch Sättel ohne Baum – vom komfortablen Reitkissen über Vielseitigkeits- und Dressursättel, Westernsättel und spanisch anmutende Modelle. Grund genug dafür, diesem Prinzip einmal auf den Grund zu gehen und zu überprüfen, ob der Anspruch der optimalen Bequemlichkeit für das Pferd – und wenn möglich auch für den Reiter – erfüllt wird. Fachblatt Pferdemarkt dankt Verena Buckstege und Stephan Günther für die Testsättel und die ausführlichen Informationen zum Thema baumlose Sättel.

Wie kam man zum baumlosen Sattel, da doch seit Jahrhunderten auf Sätteln mit traditionellem Baum geritten wird? Und warum haben diese gewohnten Sättel überhaupt einen Baum?

Bequemlichkeit des Reiters

Ein kurzer Blick in die Historie mag hier Antworten geben. So war das Pferd anfangs ein Arbeitstier, das eher aus Sicherheits- und Bequemlichkeitsgründen für den Reiter als zur eigenen Schonung mit Sattel geritten wurde. Je stabiler er war, desto fester, sicherer und letztlich bequemer kam der Reiter zum Sitzen. Das galt für die Arbeitsreitweisen in Spanien, der Camargue und Amerika ebenso wie für alle Soldaten, die ebenfalls in relativ großen Trachtensätteln ritten.

Auch war es damals wohl einfacher als heute, mit einigen wenigen Sattelmodellen einem Großteil der Pferderücken gerecht zu werden, weil sie in der jeweiligen Kultur ein relativ einheitliches Erscheinungsbild hatten: Allen voran zum Beispiel der „alte Schlag“ des amerikanischen Quarter Horse für die Rancharbeit oder auch des alten deutschen Reitpferdes, das vielfach im Militär eingesetzt wurde.

Rassen- und Rückenvielfalt

Erst in der heutigen Zeit, da es in einem Reitstall mit 60 Pferden 10 verschiedene Rassen und 30 diverse Größen und Formen geben kann, werden auch Ansprüche an die unterschiedliche Besattelung und die Menschen komplexer, die mit diesem Thema umgehen. Dass ein klassischer Westernsattel nicht auf einen kurzrückigen Andalusier passen kann, ein Warmblut-Vielseitigkeitssattel nicht auf einen schmalen Vollblutaraber, ist offensichtlich.

Dazu kommt, dass sich Reiterinnen und Reiter heute mehr Gedanken machen (können), wenn es darum geht, den höchstmöglichen Reitkomfort auch für das Pferd zu finden. Auch die Ursache einer hartnäckigen, nicht eindeutig diagnostizierbaren Lahmheit wird erst in letzter Zeit im Rücken gesucht. Das ist sicherlich nicht nur sensibleren Reitern, sondern auch Tierärzten und einer immer genaueren Diagnosetechnik, Osteopathen und Chiropraktikern zu verdanken. Der Schritt zur Frage, woher denn diese Rückenprobleme kommen, ist dann nicht allzu weit: Es kann – neben Krankheitsbildern wie Kissing Spines an der Reitweise oder am Sattel liegen, in unglücklichen Fällen an beiden.

Das Prinzip des baumlosen Sattels

Susanne Reinerth und Stephan Günther beschreiben in ihrem im März neu erschienenen Buch „Go Treeless. Baumlos reiten – die pferdefreundliche Alternative“ (s. Literaturempfehlung am Ende des Textes) die Ursprünge des modernen baumlosen Sattels: „Sicherlich waren in der jüngsten Vergangenheit die italienischen Distanzreiter um Sergio Tomassi die ersten, welche Anfang der 90er Jahre den Gedanken an die baumlosen Sättel in Europa wieder aufgegriffen haben, nachdem sie dies in den USA gesehen hatten. Dort wurden baumlose Sättel schon seit längerer Zeit wieder erfolgreich eingesetzt. Die Torsion-Sättel, die daraufhin auf den deutschen Markt kamen, waren zunächst natürlich für den Distanzsport ausgelegt, dadurch aber leicht und von einer guten Qualität.“

Hersteller von Baumlos-Sätteln beschreiben durchaus nachvollziehbar die Vorteile ihres Konzeptes, soweit es in einem qualitativ hochwertigen Sattel umgesetzt ist: Durch die Flexibilität der Auflagekissen passt sich der Sattel jedem Pferderücken an. Weil sich keine Brücken wie bei schlecht sitzenden Baumsätteln oder nach Muskelveränderungen des Pferdes bilden können, kann nichts an den kritischen Stellen wie Schulter, Trapezmuskeln links und rechts hinter dem Widerrist oder im Lendenbereich drücken. Zudem sind Kopfeisen, Fork und Kissen leicht an verschiedene Pferdegrößen und Rückenformen anpassbar.

Aber nicht nur das Pferd, sondern auch der Reiter soll von dem flexibleren Aufbau profitieren, da er näher am Pferd sitzt. So sollen Hilfen feiner und dosierter möglich und umgekehrt die Bewegungen des Pferdes auch direkter fühlbar sein. Zahlreiche Wander- und Distanzreiter schwärmen laut Barefoot-Broschüre „dass man stundenlang sitzen kann und sich wie auf Wolken fühlt“.

Allerdings ist schon an den Verstell- und Anpassmöglichkeiten zu erkennen, dass auch ein baumloser Sattel passen muss: Dies gilt vor allem für die Weite und Höhe an Schultern und Widerrist sowie für die Länge im Lendenbereich.

Drei Sättel für drei Reitweisen

Für das Testprojekt stellte uns Verena Buckstege von „Die Sattelgalerie“ freundlicherweise drei Modelle: Startrekk Dressur (Preis 1.199 €), Startrekk Western Midwest (Preis 1.599 €) und Barefoot Cherokee (Preis 549 €), jeweils mit der passenden gepolsterten Grandeur-Satteldecke. Davor waren die Testpferde mit Pappschablonen vermessen worden, damit die richtigen Größen schon vormontiert werden konnten. Dies geschieht im Übrigen auch, wenn man bei der Sattelgalerie bestellt.

Von dieser Auswahl ist auf den ersten Blick nur der Barefoot-Sattel an seiner Form als baumloser Sattel zu erkennen. Der Hersteller beschreibt ihn als „vielseitiges, pferdefreundliches Sattelmodell, ideal für Gelände- und Wanderreiter. Der Barefoot-Sattel wurde auf einer kleinen, westerngerittenen Paint Horse-Stute im Ponymaß getestet.

Der schwarze Startrekk-Dressursattel ist selbst bei genauerer Betrachtung nicht von einem Baumsattel zu unterscheiden – dafür muss man ihn schon genauer untersuchen. Dann offenbaren sich die Besonderheiten der extrem flexiblen Polsterwoll-Kissen und das austauschbare Kopfeisen. Der Austausch ist nach Aussage von Verena Buckstege oft auch schon nach einigen Monaten nötig, weil sich die Rückenmuskulatur der Pferde verändert, nachdem der frühere Druck verschwunden ist.

Den Dressursattel trugen insgesamt fünf völlig unterschiedliche Pferde (zwei klassisch gerittene Andalusierhengste, ein sehr rahmiger Warmblut-Dressurwallach, eine Hannoveraner Dressur-Stute und eine Hannoveraner Vielseitigkeits-Stute) mit ihren Reiterinnen; eine Reiterin probierte den Sattel auf zweien dieser Pferde.

Beim Startrekk Western Midwest ist diese optische Kopie eines klassischen Westernsattels nur bedingt gelungen, weil Sattelkissen eben gerade nicht „typisch western“ sind. Sie bestehen beim Standardmodell aus zwei Zentimeter dickem druckabsorbierendem Airex-Schaumstoff und einem Zentimeter dickem Weichschaum. Man kann sie aber in verschiedenen Stärken bestellen, um zum Beispiel bei asymmetrischen Pferden einen Bereich stärker zu polstern.

Auch die Fender mit den Steigbügeln gaben anfangs kleine Rätsel auf, wie denn die Bügelverstellung funktionieren würde. Der Nubuksitz ist hier auf dem Unterbau angeklettet und lässt sich auch teilweise hochklappen, um die Fender in zwei verschiedenen Ringe vorne oder weiter hinten einhängen zu können. Der Abstand zwischen Unterbau und Sitzfläche lässt den Sattel höher wirken. Dieser Eindruck verschwindet aber nach einiger Reitzeit. Der Westernsattel wurde von drei Reiter/innen auf zwei westerngerittenen Quarter Horses (Stute und Wallach) getestet.

So konnten die meisten gängigen Reitweisen abgedeckt werden und auch mehrere Reiter und Pferde in den Test ein bezogen werden, um unterschiedliche Eindrücke zu erhalten. Alle Pferde werden normalerweise mit passenden Baumsätteln geritten und zeigen damit keine Probleme.

Pferde alle baumlos glücklich

Bis auf einen Andalusierhengst, dem der Sattel definitiv zu weit war, liefen alle Pferde vom ersten Schritt an sehr entspannt vorwärts-abwärts, im Verlauf der Trainingseinheit ausbildungsgemäß in der korrekten Haltung. Der Andalusier piaffierte, die Warmblüter marschierten problemlos in allen Gangarten und auch in Trabverstärkungen. Die Quarter Horses absolvierten ihre Lektionen wie Spins und Stopps sowie fliegende Wechsel einwandfrei. Die Barefoot-Testerin verlangte dem Satteltyp entsprechend keine besonderen Lektionen, sondern ließ die Stute in allen drei Gangarten und auf großen Linien locker vorwärts gehen.

Das Ergebnis war übereinstimmend positiv: Alle Pferde schienen zumindest in der kurzen Testzeit „baumlos glücklich“.

Und die Reiter?

Bei den Reitern ergab sich ein differenzierteres Bild: Ein Westernfreizeitreiter, der üblicherweise in einem Diamond C Sattel sitzt, fühlte sich vom ersten Moment an sehr wohl in dem vergleichsweise weich gepolsterten und flexiblen Sitz des Startrekk Western. Er meinte näher am Pferd zu sitzen und die Hilfen direkter geben zu können. Auch sprang der Quarter Horse Wallach problemlos Galoppvolten, bei denen er sonst durchaus Schwierigkeiten hat. Der Reiter stieg wie immer entspannt nach einer Stunde ab.

Die beiden Turnierwesternreiterinnen hatten dagegen eher das Gefühl, dass ihre Hilfen nicht ganz so unmittelbar ankamen wie bei ihren eigenen Sätteln (Continental Equiflex und Bighorn). Auch hatten sie den Eindruck, auf dem flexiblen Sattel eher etwas nach vorne und unruhig zu sitzen und die ankommenden Schwingungen mit ihrem eigenen Rücken ausgleichen zu müssen. Und das war anstrengend – sie fühlten Muskeln an Stellen, die man nur theoretisch kennt. Das Gefühl wurde etwas besser, als der Sattel auf einem klassischen Western-Pad lag. Auch fühlte man sich beim dritten Mal wohler als zu Anfang.

Derselbe Eindruck entstand bei allen Reiterinnen im Dressursattel und mit der Grandeur-Sattelunterlage – ohne lag der Sattel weniger „gepolstert“. Dieses Ergebnis hätte man aber sicherlich auch erreichen können, wenn man d herausnehmbare Polstermodul aus der Decke entfernt hätte. Hier kam noch hinzu, dass die meisten eigenen Dressursättel (Modelle der Firmen Cobra und Kieffer) nach oben hin schmaler geschnitten sind und daher jetzt spontan der Eindruck eines gespreizten Sitzes entstand.

Nicht nur optisch völlig verschieden von klassischen Sätteln zeigte sich der Barefoot-Sattel unter zwei Reiterinnen. Die Eigentümerin des Pferdes reitet gerne auch ohne Sattel. Der Barefoot vermittelte den Eindruck eines komfortablen Reitkissens, weil er einen relativ flachen Sitz hat und die Sattelkissen auf beiden Seiten ziemlich dick erscheinen. Dadurch kam die langbeinige Reiterin schlecht mit der Wade an das schlanke, nur 1,46 m kleine Pferd. Die andere, kleinere Reiterin, hatte diese Probleme nicht, allerdings fiel sie anfangs vor allem bei Tempowechseln nach vorne. Beide kamen zu dem Schluss, dass sie eine gewisse Gewöhnungszeit benötigten und der Sattel wie beschrieben überwiegend für gemütliche Ausritte geeignet ist.

Während eine Testperson das Konzept grundsätzlich ablehnte, weil sie sich auch nach einiger Gewöhnung immer noch unwohl fühlte, meinten die sechs anderen, dass sie sich durchaus vorstellen könnten, auf das baumlose Konzept umzusteigen, wenn das Pferd mit einem Baumsattel Schwierigkeiten zeigte.

Zielgruppe Problemrücken – bei Pferd und Reiter

Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Aussage von Verena Buckstege und Stephan Günther: Ihre Kunden sind überwiegend Menschen, deren Pferde auch nach diversen Versuchen mit Baumsätteln nicht (mehr) klarkommen und denen daher als einzige Alternative der baumlose Sattel bleibt. „Wer einen gut sitzenden Baumsattel hat, mit dem Reiter und Pferd gut klarkommen, sollte durchaus dabei bleiben“, so Stephan Günther.

Allerdings gibt es nach Aussage von Verena Buckstege auch Reiter/innen, die zum Beispiel nach einem Bandscheibenvorfall Probleme mit ihrem eigenen Rücken haben, und denen von Physiotherapeuten mit dem nötigen Fachwissen über Sättel die baumlosen Modelle empfohlen werden.

Fazit

Insgesamt kann man aus dem Kurztest den Schluss ziehen, dass die Mehrzahl der Pferde wohl für einen baumlosen Sattel durchaus dankbar wären – vorausgesetzt, die Reiter wären zu diesem Schritt bereit und könnten nach einer gewissen Eingewöhnungszeit ebenfalls entspannt und locker darin sitzen. Entscheidend für einen erfolgreichen Umstieg ist sicherlich in den meisten Fällen eine ausführliche Beratung eines fachkundigen Händlers. Er sollte vor Ort Pferd, Reiter sowie Reitweise begutachten, den Sattel entsprechend anpassen und diesen dann für die nötige Eingewöhnungsphase auch zwei bis drei Wochen zum Testen zur Verfügung stellen.

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