Publikationen

Sie sehen hier eine meiner Arbeitsproben aus dem Bereich Pferdesport. zurück zur Übersicht

Bild Download PDF Doris Jessen | PR und Corporate Communication

PDF-Download

Trensen und Kandaren

Ins Maul geschaut

Erschienen in Pferdemarkt (09/10/2009)

Die Auswahl des richtigen Gebisses, das aus unterschiedlichen Mundstückformen, Ringen, Anzügen oder sogar deren Kombination bestehen kann, ist nicht bei allen Pferden einfach: es gibt „unkritische“ Kandidaten, die mit jedem Stück Eisen im Maul – vorausgesetzt wenigstens die Größe passt – gehorsam ihren Job machen, es gibt aber auch Sensibelchen, die durchaus mäkelig reagieren, wenn ihnen das Gebiss – oft im wahrsten Sinne des Wortes – nicht schmeckt.

So ist es denn in vielen Fällen nicht damit getan, einfach „irgendein“ typisches Gebiss einzusetzen. Diese sind seit jeher einfache Wassertrensen, sei es einfach oder doppelt gebrochen oder Kandarengebisse mit mehr oder weniger breiter und hoher Zungenfreiheit.

Als Yellows Peppy Sue, eine dreijährige Quarter Horse Stute, angeritten wurde, sollte hinsichtlich ihrer ersten Wassertrense das Beste gerade gut genug sein. Das beim Züchter in den ersten Wochen benutzte rostige Westerngebiss gehörte (Tradition hin oder her) schon rein optisch nicht in diese Wahl.

Das Teuerste immer das Wirksamste?

Damals waren die doppelt gebrochenen KK Ultra Gebisse aus dem neuen goldglänzenden Material Aurigan und mit – im Gegensatz zu den herkömmlich doppelt gebrochenen Modellen – um 45° gedrehtem Mittelstück der letzte Schrei. Aber es soll dem Tier ja an nichts fehlen… Gesehen, gekauft, für das relativ kleine Maul in der Stärke 14 mm. Und das Pferd schien glücklich damit und lief problemlos in der Halle, auf dem Reitplatz und im Gelände. Ein paar Monate später wurde im Stall eingebrochen und das gesamte Equipment samt Gebiss gestohlen. Im Keller fand sich noch ein altes tatsächlich rostiges Sweet Iron Gebiss und ein ausrangiertes Zaumzeug. Würde die Stute aber mit der Ersatzgarnitur zufrieden laufen? Einem simplen einfach gebrochenen Eisenteil?

Kein Problem. Nach dem obligatorischen Warmreiten Schenkel ran, Zügel leicht annehmen und los. Das Pferd gab nach, begab sich in die vorschriftsmäßige Remontenhaltung und lief in allen drei Gangarten problemlos: Es ergab sich kein, aber auch gar kein Unterschied zum gestohlenen Modell.

Irgendwann kamen dann die revolutionären Myler-Bits auf den Markt: Anatomisch angepasst, mit x-fachen Varianten an Gebissformen, Zungenfreiheiten, Ringen und Anzügen. Natürlich durfte Peppy auch diese Gebisse ausprobieren. Vielleicht würde sie ja noch besser, weicher, direkter reagieren? Fehlanzeige. Das Pferd läuft heute noch im Training und Turnier mit einfach gebrochenen Sweet Iron Trensen bzw. Westernkandaren und ist damit komplett zufrieden und erfolgreich.

Es gibt auch andere…

Leider sind nicht alle Pferde gebisstechnisch so genügsam wie die gerade beschriebene Quarter Horse Stute. Das eine nörgelt mit dicken einfachen Edelstahltrensen und läuft mit dünnen Modellen aus Argentan besser, das andere bevorzugt es dick doppelt gebrochenen mit Kupfereinlagen. Bei Kandaren ist die Qual der Wahl noch größer: Neben den Stärken von 16 bis 21(?) mm stehen breite und flache Zungenfreiheiten oder auch schmale und höhere Bögen zur Verfügung. Dazu kommen diverse Hebellängen der Ober- und Unterbäume. Woher sollen Reiter aber ohne Test wissen, was dem Pferd am besten „schmeckt“?

Wissenschaftliche Untersuchungen

Weil man dem Pferd zwar aufs, aber nur schwer ins Maul schauen und beurteilen kann, was sich in der dunklen Höhle anspielt, gibt es dazu bereits mehrere wissenschaftliche Studien inklusive aufwändigen Röntgenaufnahmen. Sie sollten klären, welche Lage die Gebisse im Maul ohne und mit Zügelanzug einnehmen, wie Zunge, Gaumen, Laden und Maulwinkel dabei berührt werden, um daraus entsprechende Schlüsse für die Wahl des Gebisses und die Reitweise zu ziehen.

So gingen zum Beispiel Dr. Elisabeth Engelke und Prof. Dr. Hagen Gasse von der Tierärztlichen Hochschule Hannover im Jahr 2002 mit Röntgenaufnahmen der Lage unterschiedlicher Trensengebisse in bereits toten Pferdemäulern auf die Spur. Konkret ging es um eine herkömmliche gebrochene Trense und zwei verschieden geformte doppelt gebrochene Mundstücke.

Dr. Peter Witzmann, Fachtierarzt für Pferde und Gründer der Pferdeklinik Kirchheim, durchleuchtete ebenfalls den Einfluss doppelt und einfach gebrochener Trensen und Kanderen ohne und mit Zügeleinwirkung bis zur Beizäumung, allerdings an sedierten Tieren.

Eine ähnliche Untersuchung führte Friederike Uhlig im Studiengang Pferdewissenschaften der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität für Bodenkultur Wien durch. Ihr ging es um die Darstellung der Lage verschiedener Trensengebisse im Pferdemaul bei Einwirkung unterschiedlich starken Zügelzuges (0, 2 bzw. 4 Kilogramm) am gerittenen Pferd im Halten.

Kein Nussknackereffekt, seltener Gaumenkontakt

Die Studien kamen im Großen und Ganzen zu ähnlichen Ergebnissen. So zeigte sich im Inneren des Mauls, dass es im Grunde bereits mit der Zunge voll ausgefüllt ist und daher recht wenig Platz für Gebisse aller Art hat. Vor allem moderne Zuchtprodukte mit zierlichen Köpfen können die früher üblichen dicken Trensengebisse durchaus störender empfinden als vermeintlich schärfer wirkende dünnere Gebisse. Das gilt umso mehr beim Reiten mit Kandaren plus Unterlegtrensen.

Die Bilder zeigen weiter, dass im Ruhezustand alle Gebisse Kontakt zur Zunge und zum Gaumen haben. Erst wenn der Zügel angenommen wird, rotiert das Gebiss mit etwa 45 Grad um seine eigene Achse, bewegt sich nach hinten Richtung Backenzähne, die Mundstücke drücken sich in die Zunge und entfernen sich vom Gaumendach. Ausnahmen gab es nur bei deutlich zu großen (mehr als 2 cm zu weiten) einfach gebrochenen Trensen und Kandaren mit sehr hoher Zungenfreiheit bei gleichzeitig flachem Gaumen des Pferdes.

Ausgeräumt wurde die Mähr vom Nussknackereffekt der Trense: Die Röntgenbilder von Dr. Witzmann bewiesen eindeutig, dass die Zunge weder zwischen den beiden Gebissteilen eingequetscht wird noch ein Kontakt zum Gaumen entsteht. Dafür, so Witzmann, sei die Zunge zu glatt, um von Gebiss in die Zange genommen zu werden. Eine Irritation kann aber im Bereich der Maulwinkel auftreten. Das passiert nach seiner Aussage vor allem dann, wenn das Gebiss zu hoch eingeschnallt ist und Nasen- und/oder Kinnriemen ohne die vorgeschriebenen ein bis zwei Finger Platz zwischen Nasenrücken und Riemen zu eng verschnallt sind.

Zunge als „Gegendruck-Polster“

Ein Problem kann entstehen, wenn das Pferd die Zunge bei zu starkem Druck zurückzieht, weil dann die dünne Unterkieferschleimhaut der Laden mit dem unmittelbar darunter liegenden Unterkieferknochen Druck bekommt. An diesen Stellen können bei zu hartem Gebisseinsatz laut Dr. Hubert Simhofer, Assistenzarzt an der Klinik für Großtierschirurgie und Orthopädie der Universität Wien, üble Verletzungen wie blutende Schleimhäute, Knochenabsprengungen oder auch Knochenwucherungen entstehen. Aber auch wenn die Zunge quasi als „Polster“ an ihrer Stelle bleibt, kann zu starker Druck dort sehr wohl Schaden in Form von Durchblutungsstörungen anrichten. Im Extremfall färbt sich die Zunge dann bläulich.

Auf jeden Fall führt die Komprimierung der Zunge dazu, dass sich der Muskel anspannt, dadurch härter und vor auch schmaler, wodurch sich die Auflagefläche für das Gebiss verringert – und zwar und etwa ein Drittel. Wie sehr zu viel Druck auf der Zunge das Pferd stören kann, zeigen manche unschöne Sliding Stopps im Westernreitsport, in dem die ohne Reithalfter gezäumten Pferde dem punktuellen Schmerz durch weites Maulöffnen zu entgehen versuchen. In Anbetracht der bekannten hohen Druckbelastung bei manchen Dressurreitern – Untersuchungen haben hier Spitzenbelastungen bis zu 15 Kilogramm auf den Zügeln festgestellt – kann man sich gut vorstellen, wie die Pferde dort ohne Reithalfter reagierten.

Doppelt oder einfach gebrochen?

Alle Studien beschäftigten sich mit den Unterschieden zwischen einfach und doppelt gebrochenen Trensen, wobei letztere in Hannover auch in zwei Varianten untersucht wurden: die herkömmliche doppelt gebrochene Trense und eine mit Verbindungsringen im schrägen 45-Grad-Winkel und verkürztem Mittelstück (KK Ultra).

Die Studien zeigen, wie sich die Lage der Gebisse bereits bei leichtem Zügelaufnehmen verändern kann. So stellt sich der Verbindungsring auf und wird gleichzeitig in die Zunge gedrückt. Dr. Witzmann zeigt mit seinen Röntgenbildern auch, dass sich das Gebiss nach links oder rechts bewegt. Da die Auflagefläche auf der Zunge nur drei bis vier Zentimeter breit ist, liegt der eine Schenkel quasi als Stange quer über der Zunge und das Verbindungsgelenk je nach Kieferbreite rechts oder links auf den Unterkieferladen. „Diese Erkenntnis war für mich auch neu und etwas beunruhigend, weil man bisher von einfach gebrochenen Trensengebissen eine andere Vorstellung hatte“, so Witzmann .

Dieser Effekt kann bei einem doppelt gebrochenen Gebiss nicht entstehen. Besonders das Modell mit schrägen Verbindungsringen legt sich unter Zug flach auf die Zunge und bildet damit eine relativ große Auflagefläche, die es weich wirken lässt.

Eine Weiterentwicklung des KK Ultra ist das Modell Dynamic RS. Es soll nach Aussage von Heinz Baumann, Geschäftsführer der Firma Sprenger die Vorzüge der verschiedenen Trensen miteinander kombinieren. Zusätzlich zur bereits erwähnten 45 Grad-Winkelung und verkürzten Mittelpartie sind Mundstück und Seitenteile durch eine Kombination von Olivenkopf und D-Ring miteinander verbunden und anatomisch nach hinten gebogen. „Dieses Gebiss soll den Druck noch gleichmäßiger über Zunge und Zungenränder verteilen und damit eine direktere Einwirkung ermöglichen. Als Olivenkopfgebiss unterstützt es zusätzlich die seitliche Anlehnung“, so Baumann.

Für Fortgeschrittene: die Kandare

Die Röntgenaufnahmen lieferten den Beweis für die einfache Theorie aus der Mechanik: Wird der rechte Zügel angenommen, verschiebt sich die gesamte Gebisskombination aus Stange und Unterlegtrense links nach vorne – und umgekehrt. Entsprechend „schief“ wirken die unterschiedlichen Zungenfreiheiten, die von breiten und flachen bis zu hohen und schmalen Aufwölbungen variierbar sind. Je nach Maulgröße und Zungenform wird die Zunge durch die Kandarenform mehr oder weniger stark fixiert, was laut den „Richtlinien für Reiten und Fahren“ zur Folge hat, „dass die Seiten der Stangen (die „Ballen“) vermehrt auf die Laden des Pferdes wirken.“

Nach der Witzmann-Untersuchung drückt vor allem eine schmale von nur drei bis vier Zentimetern auf die Zunge, weil der Muskel darin nicht genug Platz findet. „In einen breiteren Bogen passt praktisch alles hinein, eine Zungenfreiheit von sechs Zentimeters Breite und drei Zentimetern Höhe nimmt die ganze Zunge auf. Die Ballen liegen dann links und rechts des Unterkiefers, unterhalb der Zunge und der Laden. Das ist meines Erachtens nach eine relativ milde Form von Gebiss – immer eine entsprechend sanfte Reiterhand voraus gesetzt“, erklärt Witzmann.

Eine besondere Form hat die KK Conrad Kandare, deren Zungenfreiheit nach vorne gewinkelt ist. Hier ist Druck im Gaumen gänzlich ausgeschlossen. Was auf den ersten Blick gut klingt, relativiert Heinz Baumann von Sprenger aber: „Das Gebiss liegt bei Zügelanzug praktisch flach auf der Zunge, weil sich der Bogen bei der Rotation nicht nach oben bewegt, sondern nach vorne. Das führt zumindest in Könnerhand zu einer sehr guten Einwirkung. Es muss aber aufgrund dieser Form exakt in Breite sowie Stärke passen und auch korrekt eingeschnallt sein. Andernfalls kann es zuviel Druck auf die Zunge, Zungenränder und Laden ausüben“, warnt Baumann.

Reine Geschmackssache?

Wenn auch die Form sicherlich für die Wirkungsweise im Vordergrund steht, so gibt es zusätzlich noch unterschiedliche Materialien, die den Pferden unterschiedlich schmecken können.

Beim Marktführer Sprenger setzt man bereits seit Bestehen des Unternehmens auf die bekannte Legierung Argentan. Die Weiterentwicklung dazu ist das neuere Material Aurigan, eine von Sprenger patentierte Legierung, die sich vor allem durch einen hohen Kupferanteil (85%, Rest Silizium und Zink) auszeichnet, der durch seine starke Oxidation und daraus folgende Korrosion die Speichelwirkung und Kautätigkeit bei Pferden stark anregt. Auf das Schwermetall Nickel wird hier ganz verzichtet, und Langzeituntersuchungen an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover bestätigten diese gute Verträglichkeit des Materials im Pferdemaul.

Ebenfalls genutzt wird der geschmacksneutrale Edelstahl, Kunststoffe ohne und mit Apfelgeschmack, Gummi oder auch Leder – Letzteres von der Firma Meroth.

Zufriedenheit ist das A&O

Gibt es die Ideallösung? Dies herauszufinden ist – abgesehen von messbaren Größen wie Maulgröße und Gaumenhöhe – immer von der Reiter-Pferdkombination abhängig. Die wichtigste Erkenntnis aus den Untersuchungen und vielen Gesprächen mit vielen Spezialisten ist letztlich, dass der Reiter nur durch Ausprobieren und die entsprechenden Reaktionen seines Pferdes die Ideallösung finden wird.

Um den Reitern bei der Wahl zu helfen, hat Sprenger im Jahr 2008 die Idee des Testcenters realisiert und unterstützt dafür in Deutschland 155 Reitsportgeschäfte, die ihren Kunden die Möglichkeit bieten, Gebisse zu geringen Leihgebühren auszuprobieren und auch wieder zurückzugeben. Glück hat auch derjenige, der sein Pferd in einem Reitstall mit vielen Pferden, Reitweisen und freundlichen Reiterkollegen stehen hat, wo er beim eigenen (Problem)Pferd das eine oder andere Gebiss probieren kann.

zurück zur Übersicht