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Spätkastration bei älteren Hengsten

Wenn die Hormone erwachen...

Erschienen in Pferdemarkt (05/06/2006)

Herbst und Frühjahr sind typische Kastrationszeiten. Junghengste, die sich doch nicht zum „Hengstanwärter“ entwickelt haben und nun langsam dominant werden, lässt man gerne vor der heißen Jahreszeit legen, um sie vielleicht schon in eine Reitpferdeherde zu integrieren und die ersten Lektionen zu lehren. Bei älteren, die eigentlich Reithengste hätten bleiben sollen, erwacht in diesen Monaten oft die Lust auf rossende Stuten. Auch da bietet sich der scharfe Schnitt im wahrsten Sinne des Wortes an.

Während die Kastration im typischen Alter von zwei oder drei Jahren als unproblematroisch gilt, haben viele Pferdehalter bedenken vor einer „Spätkastration“. Dass dies mit den heutigen Operations- und Nachsorgemethoden in den meisten Fällen problemlos ist, beschreibt der folgende Beitrag. Er entstand mit Unterstützung von Dr. med. vet Günther Allmeling von der Klinik für Pferde aus Börnsen bei Hamburg.

Ist er nicht schön?

Der dunkelbraune Hengst, gerade noch ein Musterbeispiel entspannter Gelassenheit, hebt den Kopf und spitzt die Ohren. Da war doch was? Sein gesamter Körper scheint sich ein wenig zusammen zu schieben, der Hals wölbt sich auf, die Nasenlinie wird senkrecht getragen. Die Hinterhand setzt sich, vom Schritt wechselt er zu Piaffe-artigen Tritten. Ein leichtes Schnauben entweicht seinen Nüstern.

„Was für ein traumhaft schönes Pferd“, ruft ein Spaziergänger mit Kind an der Hand bewundernd aus. Traumhaft schön, in der Tat. Nur dass die Präsentation des vierjährigen Trakehnerhengstes leider nicht auf meine reiterliche Einwirkung zurückzuführen ist, sondern auf die Stute, die mir da auf meinem Ausritt an einem sonnigen Frühjahrstag plötzlich um die Ecke entgegen kommt. Ein paar Sekunden später ist aus meinem „traumhaft schönen Pferd“ ein kaum mehr kalkulierbares Pulverfass geworden. Aus der leichten Piaffe wird eine erhabene Passage, deren Bewegungsrichtung eindeutig ein Ziel hat: Die hübsche Stute, die ihm, der Jahreszeit entsprechend hochrossig, in die Nase sticht. Der Weg ist drei Meter breit, vorn die Stute, links der Spaziergänger mit Kind, rechts der Stacheldraht zur Rinderweide. Und unter mir der Vesuv kurz vor dem Ausbruch. Was tun? Ich versuche anzuhalten, um das Pferd zu beruhigen. Das war keine gute Idee. Denn jetzt setzt er sich aus der Passage in eine Hofreitschulen-reife Levade ab und droht zur Seite zu kippen. Also wieder nach vorne. Mittlerweile hat auch der Spaziergänger den Ernst der Lage erkannt und rettet sich samt Kind in eine Feldzufahrt. Die Stutenreiterin bleibt stehen, und ich trete die Flucht nach vorne an. Schenkel ran, Gerte drauf und im flotten Trab nur irgendwie vorbei. Auf der Höhe der Stute werden die Tritte wieder elastischer, das Schnauben lauter, aber er tänzelt gehorsam vorbei. Gott sei Dank. Es ist Freitag 17.00 Uhr und ich weiß, dass der Tierarzt noch in seiner Klinik ist. Heil zu Hause angekommen, vereinbare ich einen Kastrationstermin für die nächste Woche.

Nach der Operation, auf der Weide in Vollnarkose durchgeführt, erwachte mein Pferd als Wallach. Er konnte zwei Wochen nach dem Eingriff bereits in eine Wallachgruppe integriert werden, hat sich nie wieder in seinem Leben für Stuten interessiert, ist allen Artgenossen gegenüber immer freundlich und führt nun seit vielen Jahren ein zufriedenes Herdenleben.

Kastration als einziger pferdegerechter Ausweg

So ergeht es vielen Reiter(inne)n, die sich, vielleicht aufgrund des altbekannten Kindertraumes, vielleicht aber auch, weil es heute Mode ist, einen Hengst kaufen. Manchmal einen abgekörten mit zweieinhalb, oder einen bereits angerittenen Drei- oder Vierjährigen, der bis dahin kooperativ geblieben war. Oft geht dies noch einige Jahre gut, mit zunehmendem Alter der Tiere nimmt die Hengstigkeit jedoch manchmal unvorhergesehen zu. Das ist auch keine besondere Überraschung, wie Margit Zeitler-Feicht in ihrem sehr ausführlichen „Handbuch Pferdeverhalten“ beschreibt: „Erwachsene Hengste, insbesondere Deckhengste, werden oft stark isoliert und ohne Möglichkeit zum gemeinsamen Koppelgang mit Artgenossen gehalten. Sie zeigen deshalb auch besonders viele Verhaltensauffälligkeiten.“

Aber auch wenn man ihrem Rat folgt und versucht, Hengste – mindestens außerhalb der Decksaison – in Gruppen zu integrieren, können aus zunächst verträglichen Tieren aggressive Machos werden, deren Haltung und Handhabung nicht selten zu einem Risiko für alle Beteiligten wird. Auch wenn man das Pferd mit eiserner Konsequenz beherrschen kann, muss man sich doch billigerweise die Frage stellen, ob man ihm etwas Gutes damit tut, wenn man es für jede geschlechtsspezifische Regung bestraft und damit ein völlig unnatürliches Dasein führen lässt. Zeitler-Feicht dazu: „Hengste, die nicht zur Zucht eingesetzt werden, sollten kastriert werden, wenn sie sexuell motivierte oder aggressive Verhaltensweisen zeigen. Dieser Eingriff ist zwar mit spürbaren Auswirkungen auf das Verhaltensmuster verbunden, dennoch scheint er aus tierschützerischen Gesichtspunkten gerechtfertigt zu sein. In den meisten Fällen erlaubt erst die Kastration den männlichen Tieren, dass auch sie pferdegerecht gehalten werden können.“

Kein Problem bei Althengsten

Nun herrschte lange Zeit die Meinung vor, dass die Kastration gerade bei älteren Hengsten schwierig sei. Dabei birgt sie heute meistens nicht mehr physische oder psychische Probleme als für ein junges Tier - vorausgesetzt, die Operationsmethode und Nachsorge stimmt: „Die alte Meinung, spät gelegte Wallache würden stark unter diesem Eingriff leiden und auch sehr an Substanz und Ausdruck verlieren, kommt aus einer Zeit, als man noch sehr beherzt zu Werke ging und dem Tier mit der Kastration sehr weh getan hat und auch für eventuelle Komplikationen nicht so gute Medikamente hatte. Die Folgeerscheinungen waren dann eher auf starke Schmerzen und Infektionen als auf die veränderte Hormonlage zurückzuführen. Durch die perfekte Narkose- und Operationstechnik sowie gut wirkende Schmerzmittel und Antibiotika können wir den Tieren diesen Eingriff heute relativ erträglich machen. Die meisten frische Kastrierten - auch ältere - verlieren heute kaum an Substanz und sind nach ein bis zwei Wochen wieder voll fit“, sagt Dr. Günther Allmeling.

Wie wird’s gemacht?

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen der Kastration im Stehen mit Standnarkose sowie örtlicher Betäubung in den Samensträngen und der im Liegen in Vollnarkose. Im Stehen und Liegen kann man die Operation auf der Weide, im Stall oder auch in der Klinik als sog. „unsterile“ Kastration durchführen. Wenn nicht schon vorhanden, ist hier eine Tetanusimpfung angeraten. Die „sterile“, also keimarme Kastration im Operationssaal ermöglicht eine ganz andere Operationsmethode mit totalem Wundverschluss.

Bei älteren Hengsten rät Dr. Allmeling aus medizinischen Gründen zur Kastration im Liegen. Bei ihnen sind die Samenstränge und damit der Leistenkanal bereits stark entwickelt und lassen somit eine größere Wunde zur Bauchhöhle offen. Dadurch besteht die Gefahr des meist tödlich endenden „Darmvorfalls“, d.h. des Austritts von Därmen durch die Operationswunde. Dieses Risiko wird bei der Kastration im Liegen geringer, völlig umgehen kann man es nur mit der sterilen Operation, bei der die Operationswunde verschlossen wird. Ein weiteres Argument sind Probleme bei der Handhabbarkeit und die nötige Sicherheit für den Arzt und Assistenten: Ein ausgewachsener Hengst ist allein durch sein Gewicht und seine Kraft im Stehen schwer zu handhaben. Dies gilt um so mehr, wenn sich das Tier gegen den Eingriff wehrt.

Die Kastration im Liegen kann im Frühjahr auf der sauberen Weide oder in einer großen, mit Strohballen ausgepolsterten Box durchgeführt werden. Letzteres - oder der unsterile Eingriff in der Klinik - empfiehlt sich auch im Herbst, wenn die Weiden schon zu kalt und nass sind.

Das Pferd wird narkotisiert und im Liegen so ausgebunden, dass der Operationsbereich für den Arzt gut zugänglich ist. Anschließend wird der Wundbereich desinfiziert. Der Arzt sollte mit Handschuhen und sauber eingelegten Instrumenten arbeiten, so dass auch hier das Infektionsrisiko möglichst gering gehalten wird. Bei der unsterilen Operation im Liegen wird die Operationswunde nicht verschlossen, damit das Wundsekret ablaufen kann. Die wichtigste Nachsorgemaßnahme ist ausreichend Bewegung in den Folgetagen.

Der maximale Aufwand ist bei der sterilen Kastration in der Klinik möglich: Zum Ablegen kommt das Pferd in eine mit Gummi ausgepolsterte Narkosebox, von der es auf einem fahrbaren Tisch in den Operationssaal gebracht wird. Hier kann die Wundumgebung optimal keimarm gehalten werden, so dass man die Wunde zur Bauchhöhle hin verschließen kann. Schwellungen und Wundsekrete entstehen so wesentlich weniger. Durch den anschließenden Klinikaufenthalt ist auch die Ruhigstellung und Wundheilung optimal gewährleistet.

Mögliche Risiken und wie man sie minimiert

„Als Arzt muss ich darauf hinweisen, dass es keinen medizinischen Eingriff ohne Risiko gibt. Deshalb klären wir vor der Operation über die möglichen Komplikationen auf - schon um uns von rechtlicher Seite her abzusichern: Da gibt es Narkoserisiken, Verletzungsrisiken beim Ablegen, Infektionen, das seltene, aber vorhandene Risiko des Darmvorfalls. Aus Sicherheitsgründen für das Tier und auch für uns behandelnde Ärzte lehnen wir hier zum Beispiel die Kastration im Stehen grundsätzlich ab - was aber nicht heißen soll, dass ein anderer Tierarzt sie nicht fachgerecht und komplikationslos durchführt. Für einen voll entwickelten Althengst empfehlen wir die sterile OP in der Klinik“, sagt Dr. Allmeling.

Die üblichen Begleiterscheinungen bei den beiden unsterilen Methoden sind hauptsächlich Wundschwellungen. Eine leichte Schwellung ist natürlich und auch erwünscht, damit sich die Wunde zur Bauchhöhle hin schließt. Die Person, welche die Nachsorge übernimmt, muss jedoch genau beobachten, wie sich die Schwellung entwickelt. Wird sie zu stark, muss die Wunde vom Arzt noch einmal kurz geweitet werden, damit das gestaute Sekret ablaufen kann. Für dieses Ablaufen ist auch Bewegung wichtig: Zweimal pro Tag sollte der frische kastrierte Wallach zehn bis 20 Minuten im Schritt und Trab laufen. Bei stärkeren Schwellungen kann man die Operationswunde auch mit kalten Wasser aus dem Schlauch kühlen.

Die nächste Risikostufe sind Blutungen, leichte Infektionen bis hin zu Samenstrangvereiterungen und Fisteln. Die Vereiterung erkennt man daran, dass das Wundsekret nicht mehr klar, sondern trüb ist. Spätestens dann ist der Tierarzt zu rufen, der über die weitere Behandlung entscheiden muss. Tödliche Infektionen wie Blutvergiftungen treten sehr selten auf.

Natürlich ist zu beachten, dass der Hormonspiegel nach der Operation in der Regel noch etwa sechs bis acht Wochen erhalten bleibt. Je nach Hengstigkeit darf also auch der neue Wallach erst dann auf die Koppel in die Herde, wenn er für diese keine Gefahr mehr darstellt.

Psychische Auswirkungen der Kastration

Wenn sich der Hormonspiegel innerhalb von sechs bis acht Wochen abgesenkt hat, kann es bei manchen Wallachen zum „Hormonkater“ kommen, der aber durch geringe Hormongaben minimiert werden kann. Allerdings kann die Hormonbehandlung auch das Hengstverhalten wieder fördern. Die Dauer der Behandlung ist individuell unterschiedlich. Sobald das Pferd im Turniersport auftritt, muss die Behandlung abgesetzt werden, da sie rechtlich unter das Doping fällt.

Der umgekehrte Fall ist, dass die Operation zwar medizinisch erfolgreich war, der Wallach aber seine Hengstmanieren beibehält. Das ist entgegen üblicher Meinung nicht unbedingt vom Alter abhängig. Hier kann man ebenfalls versuchen, mit Hormonen zu behandeln.

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