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Reithalfter – Funktion und Geschmack

Erschienen in Pferdemarkt (07/08/2009)

Jeder kennt sie – viele gebrauchen sie, manche lehnen sie grundsätzlich ab: Reithalfter in den verschiedenen Formen. Vier Prinzipien hat der Reiter zur Auswahl: das hannoversche, englische und kombinierte sowie das mexikanische Reithalfter. Was aber bewirken sie, braucht man sie wirklich und wie werden sie korrekt genutzt?

Die Beschäftigung mit dem Thema Reithalfter führt zwangsläufig zur Frage, seit wann und warum dieses Hilfsmittel überhaupt eingesetzt wird. Schon der Blick auf Abbildungen alter Reitmeister – allen voran Antoine de Pluvinel (1555-1620) oder François Robichon de la Guérinière (1688 – 1751) –zeigt den Einsatz eines Nasenriemens. Wenn auch beide Ausbilder Protagonisten der „leichten Schule“ waren, so stand doch in der damaligen Zeit grundsätzlich die absolute Kontrolle des Pferdes im Vordergrund. Denn im Kriegseinsatz und in den Arbeitsreitweisen musste in der einhändigen Zügelführung die minimale Krafteinwirkung sofort zum Erfolg führen – alles andere konnte im Zweifel tödlich enden.

Nun sind wir heute glücklicherweise über diese Zeiten weit hinaus, vielmehr ist die oft zitierte Horsemanship angesagt. Und hier werden sich die meisten Reiter über ein Ziel einig sein: Sie wollen ihren Pferden nach bestem Wissen und Gewissen möglichst nicht schaden, sie also schonend reiten. Bereits an diesem Punkt scheiden sich allerdings die Geister in Bezug auf den Einsatz eines Reithalfters – mag es nun hannoversch, englisch, kombiniert oder mexikanisch sein. Das eine „Lager“ ist der Ansicht, möglichst wenig Leder am Pferdekopf sei die beste Lösung und im Turnier – in Anbetracht der LPO-Vorschrift als notwendiges Übel zu betrachten. Die anderen meinen, dass der vorschriftsmäßig verschnallte (dazu später) Nasenriemen gerade das junge Pferdemaul schone.

Brauchen wir ein Reithalfter?

Michael Putz, erfolgreich in der Dressur bis zur Klasse S, Pferdewirtschaftsmeister und 15 Jahre Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule in Münster, erklärt dies in seinem Buch „Reiten mit Verstand und Gefühl“ (s. Literaturhinweis) auch sehr verständlich: „Wenn beim Reiten über die Zügel mit dem Gebiss Druck auf das Maul ausgeübt wird, wird das Pferd mit einem Nachgeben des Unterkiefers reagieren.“ Insofern, so Putz weiter, wirke die Kraft auf das Maul ein. Sei das Pferd mit einem Reithalfter gezäumt, werde der Druck durch den nachgebenden Unterkiefer über den Nasenriemen auf den Nasenrücken weitergegeben. Dass dies gut funktioniere, werde auch beim Einsatz gebissloser Zäumungen, des Kappzaumes, aber auch beim Führen am Halfter spürbar. Der Druck auf die Nase führt also zu einer schnelleren Reaktion und ermöglicht damit auch leichtere Hilfen.

Thies Kaspareit, Leiter der Deutschen Akademie des Pferdes, stimmt ebenfalls für den Einsatz eines Reithalfters, da es neben der Druckverteilung auch den Vorteil bringt, das Gebiss ruhiger im Maul zu fixieren. Da es in jeder Ausbildungsphase immer wieder sinnvoll sein kann, kurzfristig eine etwas stärkere Verbindung zum Pferdemaul zu haben, sollte man seiner Meinung nach nicht auf ein Reithalfter verzichten. „Nur in Ausnahmefällen wird ein dauerhaftes Reiten ohne Reithalfter sinnvoll sein“, so Kaspareit.

Noch einen Schritt weiter geht Martin Plewa, Reitmeister und heutiger Leiter der Münsteraner Reit- und Fahrschule. Seiner Meinung nach führt das ohne Nasenriemen möglicherweise geöffnete Maul sogar zu Verkrampfungen in der Ganaschen- und unteren Halsmuskulatur, was wiederum auch die Aktivität des Rückens und der Hinterhand beeinträchtigt.

Auch Dr. Gerd Heuschmann, Pferdewirt und Tierarzt, sieht den Vorteil des gestützten Unterkiefers vor allem bei noch jungen und Korrekturpferden – und auch für den Reitanfänger. Allerdings betont er gleich im zweiten Satz: „Wer von Beginn an mit feiner Hand reitet, braucht diese Stütze aber nicht.“

Positiver Spannungsbogen über Druck?

Manche Dressurreiter sind der Ansicht, dass sich der positive Spannungsbogen für Trabverstärkungen, Passage oder Piaffe nur durch eine sehr starke Anlehnung und somit zwangsläufig viel Druck auf Zügel und Reiterhand aufbauen lasse – in machen Fällen sollten dies bis zu zehn Kilo pro Hand sein. In diesem Fall stelle das Reithalfter eine Entlastung für das Kiefergelenks dar, weil das Pferd andernfalls zuviel Kraft aufbringen müsste, das Maul geschlossen zu halten. „Dass solche Situationen vorkommen – und zehn Kilo sind da nicht das Maximum –ist leider eine traurige Tatsache. Dass bedeutet aber, dass so ein Pferd oder Reiter nicht gut ausgebildet sind. Ein Pferd kann im ersten Moment der Trabverstärkung einmal etwas vermehrt ‚an die Hand ziehen’, großer Druck darf aber nie das Ziel sein. Man sollte in diesem Zusammenhang auch einmal deutlich sagen, dass leider allzu häufig dafür gar nicht befähigte Reiter meinen, sie müssten Lektionen höchster Versammlung reiten. Ist dies nur über so viel Druck möglich, ist es für das Pferd physisch und psychisch eine Tortur. Diese Reiter müssen lernen, dass der Weg das Ziel ist. Und der kann eben manchmal lang sein“, erläutert Michael Putz.

Im Spring- und Vielseitigkeitssport – da sind sich alle drei Spezialisten einig –ist ein Reithalfter durchaus sinnvoll, weil dort vor allem in höheren Klassen manchmal Situationen entstehen, in denen man tatsächlich die maximale Kontrolle ausüben können muss.

Welches Reithalfter für welchen Einsatz?

Trotz vieler Formen, Farben und Materialien beschränkt sich die Auswahl auf vier Grundmodelle: Das hannoversche, englische und kombinierte (heute zunehmend mit sog. schwedischer Verschnallung) sowie mexikanische Reithalfter. Je nach Pferd und Reitdisziplin haben sich – korrekte Passform und Verschnallung vorausgesetzt die unterschiedlichen Modelle bewährt. Lediglich für den höheren Dressureinsatz gibt es keine Auswahl: Hier ist der Kandarenzaum mit englischem Reithalfter die einzig zugelassene Variante.

Das hannoversche Reithalfter

Wer bereits länger im Sattel sitzt, dem wird aus alten Reitschultagen das hannoversche Reithalfter noch gut bekannt sein. Obwohl es im Vergleich zu seiner englischen und kombinierten schicker anmutenden Konkurrenz heute deutlich weniger im Einsatz ist, laufen doch einige Pferde gut damit. Vielleicht liegt es daran, dass der Nasenriemen auf dem unteren, empfindlicheren Teil des Nasenbeines liegt. Dort kommt der oben beschriebene Druck natürlich deutlicher durch als an einer unsensibleren Stelle und ermöglicht damit eine feine Hilfengebung, ohne das Pferd in der Atmung zu behindern. Auch verhindert es ein seitliches Verschieben des Unterkiefers.

Obwohl es durch den einfachen Nasenriemen auch leicht in der Verschnallung erscheint, verstecken sich hier so manche Tücken: So kann es passieren, dass die kleinen seitlichen Ringe langer Nasenriemen auf das Gebiss drücken. Beim Verschließen ist darauf zu achten, dass zwischen Nasenriemen und Nüsternrand für vier bis fünf Finger Platz ist und dass zwei Finger zwischen Kinnriemen und Pferdekopf passen. Das vom Genick nach unten verlaufende Backstück muss hinter dem Jochbein liegen.

Englisch und kombiniert

Diese Variante ist für alle Reitdisziplinen gut geeignet und für die Kandarenzäumung Pflicht. Die heutigen Modelle haben einen relativ breiten Nasenriemen, der oft auch weich gepolstert ist. Das führt zu einer Druckverteilung, die aber nur auf den ersten Blick sinnvoll ist: Schließlich möchte der Reiter ja die Nachgiebigkeit durch den Druck im positiven Sinne nutzen. Auch im Genickstück finden sich breite Riemen, oft wird der dünnere Riemen des Reithalfters durch extra Schlaufen auf dem Genickriemen geführt, um auch möglichst bequem anzuliegen. Auf der diesjährigen Equitana fanden sich auch Modelle mit Aussparungen für die Ohren, was ebenfalls zum Komfort des Pferdes beitragen soll.

Wichtig ist auch hier die richtige Anpassung: Der Nasenriemen muss möglichst hoch liegen, um die Atmung nicht zu behindern und die Lefzen nicht einzuklemmen, aber etwa einen Fingerbreit unterhalb des Jochbeines. Am besten nimmt man für diese Anpassung die Zügel einmal kurz an und achtet darauf, dass sich am Maul keine Falten bilden. In jedem Fall müssen zwei Finger zwischen Riemen und Pferdekopf Platz haben. Es ist auch dafür zu sorgen, dass der untere lang genug ist – am besten so lang, dass die Schnalle links vom Unterkieferast zu schließen ist. Das Backenstück sollte kurz genug sein, weil zu nahe am Stirnband liegende Schnallen leicht drücken können.

Zum „kombinierten Halfter“ wird die Zäumung durch einen unterhalb des Gebisses zu schließenden zweiten, dünneren Nasenriemen, der das Gebiss in ruhiger Position halten soll. Fälschlicherweise wird er oft „Sperriemen“ oder „Pullerriemen“ genannt. Dadurch entsteht der weit verbreitete Irrtum, man könne oder solle damit das Pferd daran hindern, das Maul zu öffnen, also „zu sperren“. Dabei ist gerade das Gegenteil der Fall, weil das Pferd für eine entspannte Arbeit mit geschlossenem Maul noch kauen können muss. Der untere Riemen muss auch lockerer bleiben als der obere, um nicht den oberen Nasenriemen nach unten zu ziehen.

In diesem Zusammenhang wurde bereits das schwedische Halfter genannt, dessen oberer Nasenriemen durch seine Umlenkrolle sehr leicht zu schließen ist. Vorteil an diesen Modellen ist, dass sie meistens gleichmäßig auf den Unterkieferästen aufliegen. Beim Schließen ist durch die Flaschenzugwirkung allerdings Vorsicht geboten und zu überprüfen, ob tatsächlich die beiden Finger noch Platz haben.

Das mexikanische Modell

Beim mexikanischen Reithalfter führen zwei gleich breite Riemen kreuzweise über den Nasenrücken sowie unterhalb des Gebisses entlang und werden seitlich geschlossen. Möchte das Pferd das Maul öffnen, führt dies zu Druck sowohl auf der Nase als auch an den beiden Unterkieferästen.

Diese Konstruktion ermöglicht eine gezielte Zügeleinwirkung bei größtmöglicher Atemwegefreiheit, deshalb wird sie auch gerne im Spring- und Vielseitigkeitsreiten eingesetzt. Üblicherweise liegt der obere Riemen, der in einem kleinen Ring am Backenstück angesetzt ist, oberhalb des Jochbeins und darf nur locker verschnallt werden.

Weitestgehend Geschmacksache

Während sich die Mehrzahl der Fachleute darüber einig ist, dass ein Reithalfter durchaus nützlich ist und bei korrekter Anpassung und Verschnallung auch nicht stört, ist das Modell sicherlich weitestgehend Geschmacksache. Hier sollte man verschiedene Varianten einfach ausprobieren und versuchen herauszufinden, womit das Pferd am ehesten zufrieden und losgelassen läuft. Vielleicht wird sich manchen Fällen am Ende ergeben, dass das eine oder andere Pferd auch ohne Reithalfter willig kooperiert. Das ist dann sicherlich ein schöner Beweis nicht nur eines gut ausgebildeten und sensiblen Pferdes, sondern auch einer sanften Reiterhand, die im wahrsten Sinne des Wortes nur noch mit dem letzten Gramm Zügelgewicht kämpft.

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