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Wie viel Erziehung braucht ein Fohlen?

Wenn man sich viel Zeit nimmt, geht es meistens am schnellsten

Erschienen in Bayerns Pferde (07/2009)

Mit der Erziehung von Fohlen ist es ähnlich wie bei Kindern: Was früh gelernt wird, bleibt haften – später profitieren dann nicht nur die „Eltern“, sondern vor allem auch die „Jugendlichen“ davon. Wer sich gleich von Beginn an viel Zeit für die Erziehung nimmt, hat es später bei Brennterminen, Fohlenschauen und auch beim Anreiten leichter.

Viel Zeit ist dabei aber relativ zu sehen: Regelmäßig ein paar Minuten Streicheln, Kraulen oder einmal ein Beinchen anheben reichen schon aus, um das Fohlen von der ersten Minute seines Erdendaseins an den Menschen zu gewöhnen und Vertrauen aufzubauen. „Mit dem menschlichen Umgang, der zugleich eine gewisse Erziehung darstellt, können Sie nicht früh genug anfangen“, bestätigt Martin Niedermair, seit 1967 Züchter von Pferden mit dem Bayernbrand und bekannt vor allem durch seine Erfolgspferde Lord Sinclair I und dessen Vollbruder Lord Sinclair III. Auf seinem Hof Gut Spielberg bei Aying züchtet er, mittlerweile unterstützt durch seinen Sohn Georg mit rund zehn Stuten, die im Durchschnitt acht bis zehn Fohlen pro Jahr zur Welt bringen.

Die ersten Stunden

Konkret beginnt der frühe Umgang bereits nach der Geburt. Zuerst wird die Stute ihr Fohlen sauber lecken und damit den ersten Kontakt in seiner neuen Welt herstellen. Schon kurz danach kann der Züchter den Nachwuchs vorsichtig an allen Körperteilen sanft berühren, um das erster Vertrauen herzustellen. Inwieweit sich die Neugeborenen das gefallen lassen ist unterschiedlich, wie Toni Kornes, ausgebildeter Landwirt und erfahrener Züchter von Hannoveranern in Ettringen bei Bad Wörishofen, aus 25 Jahren Zuchterfahrung weiß: „Manche sind von Anfang an sehr zutraulich, andere eher ängstlich und scheu. Das hängt auch viel von der Mutter ab. Entsprechend mehr oder weniger Aufwand bedeutet die Fohlenerziehung. Mit manchen braucht man gar nicht viel zu tun, die Scheuen brauchen natürlich etwas mehr Arbeit. Je kleiner sie sind, desto leichter sind sie aber zu handhaben“, so Toni Kornes.

Dass die Lebenserfahrungen vor allem in den ersten Tagen so wichtig sind, hat die Natur als Überlebensprinzip so eingerichtet: Pferde müssen sich als Fluchttiere möglichst schnell mit ihrer Umgebung auseinandersetzen. Die Bindungs- und Lernfähigkeit ist jetzt am größten, alle erlernten Informationen und Erfahrungen bleiben ein Leben lang erhalten. Eine wichtige Rolle spielt hier auch die Mutterstute. Zeigt sie großes Vertrauen zum Menschen, wird auch der Sprössling dies übernehmen. Dass diese Regel aber nicht uneingeschränkt gelten muss, berichtet Reinhard Puls, der im schleswig-holsteinischen Grande Holsteiner züchtet: „Unsere scheueste Stute hat dieses Jahr das frechste und neugierigste Fohlen.“

Die ersten Tage

In den ersten Tagen, in denen Stute und Fohlen oft noch überwiegend in der Box sind, ist es ganz einfach, den regelmäßigen Kontakt herzustellen. „In unserem Betrieb kommt in dieser Zeit eigens ein junges Mädchen, das die täglichen Streicheleinheiten übernimmt. Wir legen den Kleinen auch schon in den ersten Tagen ein gut passendes, weiches Halfter an, damit sie sich gleich daran gewöhnen. Auch die Berührung mit einer weichen Bürste kann man ihnen jetzt schon beibringen“, erzählt Niedermair.

Wenn die Zeit gekommen ist, Mutter und Kind in die Freiheit – sei es früh Geborene nur kurz auf Paddocks oder Spätgeborene auf die Weide zu entlassen, so ist es sinnvoll, baldmöglichst mit dem Führen zu beginnen. Am besten geschieht dies zu zweit: Eine Person nimmt die Stute, die andere hat das Fohlen locker am Strick nahe bei der Stute, so dass es im Grunde von selbst mitläuft. Wenn es stehen bleibt, kann man es sanft anschieben oder auch eine Schlinge und die Oberschenkel legen und gleichzeitig vorne schwach ziehen, damit es langsam lernt, dem sanften Druck nachzugeben. „Auf keinen Fall darf diese Übung in ein Kräftemessen ausarten, weil die Knochen der Fohlen noch sehr weich sind und schnell Verletzungen entstehen. Wenn das Fohlen sich also wehrt oder gar zu steigen versucht, muss man sofort nachlassen“, erklärt Niedermair.

Eine andere Methode, den Nachwuchs an den Strick und das Anbinden zu gewöhnen, weiß Toni Kornes: „Wir halftern unsere Fohlen mit zwei bis drei Wochen auf und halten sie in der Box ein paar Minuten locker am Strick. Erst wenn sie das kennen gelernt haben, halten wir sanft dagegen und lassen bei Widerstand sofort wieder nach. Erst wenn sie in der Box ohne Widerstand halfterführig sind, gehen wir mit ihnen neben der Stute ins Freie. Das geschieht alles sehr spielerisch und wir haben sehr selten heftige Gegenreaktionen.“

Zu berücksichtigen ist, dass alle Übungen immer nur wenige Minuten dauern dürfen, weil die Fohlen sich nur kurze Zeit konzentrieren können. Auch muss das Halfter anschließend immer abgenommen werden, um Verletzungsrisiken auszuschalten.

Kein Spielzeug!

Das Programm sollte täglich gleich ablaufen und somit für das Fohlen zur Routine werden. Dabei ist darauf zu achten, das Pferdchen nicht zu verhätscheln, sondern durchaus konsequent zu behandeln. Auf keinen Fall darf man mit den Fohlen spielen, sie an sich hochsteigen lassen oder gar die Hufe auf die Schultern nehmen. Anrempeln und Kneifen ist auch für die Kleinen absolut verboten – zu schnell wird aus ihnen ein großes Pferd, das dann nicht begreifen kann, dass plötzlich verboten ist, was früher doch erlaubt war.

Sinnvolle Beschäftigung

Was in der Box in den ersten Tagen mit sanftem Streicheln und erstem Halfteranlegen begann, kann in den nächsten Wochen zur sinnvollen Beschäftigung werden: Nun geht es um korrektes Führen und einige Minuten ruhiges Stehen, Hufe geben und die ersten Stimmkommandos wie zum Beispiel „Halt!“. Für den früh gelernten Gehorsam wird vor allem der Schmied dankbar sein, der auch für bei Fohlen alle sechs bis acht Wochen routinemäßig die Hufe kontrollieren und bedarfsgemäß beraspeln sollte. „Wir beginnen schon sehr früh damit, an den Beinen sanft herunter zu fahren und sie einzeln hochzuheben. Am besten macht man dies neben der Mutter oder an der Boxenwand, damit das Fohlen sich anlehnen kenn und langsam lernt, auf drei Beinen zu stehen“, sagt Martin Niedermair. Ein sanft, aber dennoch konsequent behandeltes Fohlen wird auch für den Tierarzt kein Problem sein. Wenn es allerdings doch einmal ernst wird und eine Behandlung auch ohne vorheriges Training nötig ist, hilft der Fohlengriff. Dabei fasst man mit einem Arm um die Brust und dem anderen um die Hinterbeine.

Vertrauensvoll in den Anhänger

Es kann viele Gründe geben, warum auch junge Fohlen verladen werden müssen: Zum ersten Transport auf eine entferntere Weide, zu Brennterminen und Fohlenschauen. Bei den Westernrassen sind auch die sog. „Halter Shows“ ser beliebt, in denen die Pferde nach Exterieur und Gang beurteilt werden. „Wir führen zuerst die Stute auf den Anhänger und fixieren das Fohlen seitlich, damit es nicht weglaufen kann. Wenn es nicht freiwillig in den Anhänger einsteigt, schieben wir hinten etwas nach. Sie lernen dann schnell, dass der Anhänger keine Gefahr bedeutet. In den meisten Fällen sind die Pferde dann auch später problemlos zu verladen“, berichtet Toni Kortes.

Vorbereitung zum ersten Schauauftritt

Bei den ersten Auftritten sind die Fohlen meistens bereits mehrere Wochen oder sogar Monate alt und sollten nach den oben beschriebenen Übungen halfterführig sein, sich putzen lassen und die Hufe geben. Insofern wird auch der Termin zum Brennen und die eventuelle Exterieurbeurteilung kein Problem darstellen. Für diesen ersten großen Auftritt werden sie vorher entwurmt, geputzt, die Hufe sauber beraspelt und die kurze Mähne eingeflochten. Dafür benötigt man meistens zwei Personen – eine, die das Fohlen hält und eine weitere zum Einflechten. Das sollte auch kurz vor der Schau passieren, damit die Mutter nicht an den Zöpfchen knabbern kann.

„Manche Züchter scheren auch den Fohlenpelz ab, aber das lehnen wir strickt ab. Das ist sehr ungesund für das Tier, weil der gesamte Klimahaushalt durcheinander kommt und das Erkältungsrisiko steigt. Es ist auch kein Problem, das Fohlen mit natürlichem und dichterem Fell vorzustellen, weil erfahrene Zuchtrichter die Qualität ohnehin erkennen und andere auf einer solchen Veranstaltung ohnehin nichts zu suchen haben,“ erklärt Martin Niedermair. Zwar übt er mit seinen Stuten und Fohlen ein paar Mal den Vorstellungsablauf, ein spezielles Bewegungstraining zum Muskelaufbau brauchen sie aber seiner Meinung nach nicht. „Die Bewegung auf einer großen Weide mit ein paar Spielkameraden reicht aus“, pflichtet auch Toni Kornes bei.

Auf der Präsentation wird das Fohlen im Stand beurteilt. Für die Bewegungsnoten läuft es frei rechts neben der Mutter. Hier ist eine Frage Geschicklichkeitsfrage der Stuten- und Peitschenführer, das Tempo so anzupassen, dass sich das Fohlen in allen drei Gangarten optimal präsentieren kann. Dafür ist durchaus etwas Übung und auch Erfahrung nötig. Etwas anders geht es da bei den Westernpferderassen Quarter, Paint und Applaoosa Horse zu: Für die Halter Shows sollte das Fohlen bereits sehr ruhig – und wenn möglich – in geschlossener Haltung auf allen vier Beinen stehen. Auch wird es ausschließlich am Halfter und nie freilaufend im Trab vorgeführt, alle Teilnehmer sind dabei in der Bahn. Das fordert einen recht hohen Gehorsamkeitsgrad und daher zuhause schon ein aufwändigeres Training.

Bewegung als Handpferd und Freispringen?

Sind die Fohlen etwas älter, kann man sie auch als Handpferd zu (Aus)ritten mit der Stute mitnehmen. Das sollte allerdings auf einer geschlossenen Weide zunächst geübt und auch später nur in absolut verkehrsfreier Umgebung praktiziert werden. „Bei gutem Boden und in sicherer Umgebung ist das eine gute Sache“, meint dazu Toni Kornes. Sein Züchterkollege Niedermair hält davon allerdings nicht viel, weil es für ihn trotz aller Vorsicht immer noch zu gefährlich ist. „Wenn das Fohlen älter ist, kann man es auch für ein oder zwei Stunden einmal ohne Mutter lassen,“ empfiehlt er.

Auch das mancherorts praktizierte frühe Freispringen, sei es, um das Talent zu erkennen oder Springbewegungsmuster zu trainieren, lehnen die beiden erfahrenen Züchter konsequent ab, weil die Knochen noch viel zu weich sind.

Vorbereitung zum Absetzen: Alleinebleiben

Irgendwann – meistens zwischen dem vierten und spätestens sechsten Monat ist die Zeit des Absetzens gekommen, die für Stute und Fohlen gleichermaßen schwierig sein kann. Als Vorübung sollte das Fohlen regelmäßig ein paar Minuten alleine bleiben, zum Beispiel, während die Mutter außerhalb der Weide oder Box geputzt wird. Behält der Youngster zumindest Sichtkontakt zu Herdenkollegen, fällt ihm dies leichter. Auf jeden Fall muss die Umgebung ausbruchs- und verletzungssicher sein, weil manche Fohlen der Mutter unbedingt folgen wollen. Je öfter man diese Übung wiederholt, desto länger kann dies schließlich dauern – bis hin zum oben genannten Ausritt mit der Stute. „Beim Absetzen ist wichtig, dass die ganze Fohlenherde zum gleichen Zeitpunkt abgesetzt wird, damit sich die Rangordnung unter den Jungen schnell regelt und keine Neuankömmlinge später den Herdenverband durcheinander bringen“, weiß Martin Niedermair. In professionellen Zuchtbetrieben werden die Fohlen von einem Tag zum anderen abgesetzt und die Mütter in dieser Zeit so weit weg gebracht, dass sie ihre Kinder nicht wiehern hören – und umgekehrt. In ihrer gewohnten Herde dauert dann der Trennungsschmerz meistens nicht allzu lange.

Alles Gute für das weitere Leben!

Für Pferd und Mensch bringt guter Gehorsam nicht nur mehr Freude im Umgang, sondern für alle Beteiligten auch ein höheres Maß an Sicherheit, wenn 600 Kilogramm temperamentvolle „Lebendmasse“ in jeder Situation ruhig zu handhaben sind. Eine anständige Erziehung ist insofern die beste Voraussetzung für das Fohlen, auch im späteren Leben ein glückliches und seinem Einsatz entsprechend erfolgreiches Reit- oder Fahrpferd zu werden.

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